Verbaler Wettstreit



In oralen Kulturen existierten oftmals Traditionen des verbalen Wettstreits (Ong, 1982) , etwa Rätsel- oder Liederwettstreit. Schriftlichkeit trennt die Menschen voneinander und so ist in der schriftlichen Kultur der spontane, direkte Wettstreit nicht üblich. Walter Ong führt weiter aus, daß elektronische Medien , wahrscheinlich als Erbe der Buchdruckkultur, diese Kultur des verbalen Wettstreits nicht wieder aufnimmt. Zwar dominiere dort eine Atmosphäre der Spontaneität, die auch kultiviert werde, doch herrsche gleichzeitig das Bedürfnis nach Kontrolle und antagonistische Tendenzen würden diese Kontrolle durchbrechen.

Fowler argumentiert, daß dieses Fehlen einer verbalen Wettstreitkultur für das Fernsehen gelten mag, daß aber andere elektronischen Medien den oralen Wettstreit durchaus wieder ermöglichen und aufnehmen. So lebt der direkte verbale Wettstreit in den Jams der urbanen Kultur des Hip Hop/ Rap wieder in einer ganz ähnlichen Weise auf, wie in primär oralen Kulturen (Fowler, 1994) . Von den Rappern werden Jams veranstaltet, bei denen vor Publikum um die besten und originellsten Reime in Verbindung mit einem gelungenen Sprechrhythmus gestritten wird.

Auch im Internet erfährt der Wortwettstreit primär oraler Kulturen eine Renaissance: da Ansehen und Ruf einer Person im Netz primär aufgrund ihrer Äußerungen entstehen, ist der Wortwettstreit das Mittel der Wahl wenn es darum geht, Überlegenheit zu zeigen. In sogenannten flame wars - also scharfzüngigen Auseinandersetzungen, die nicht unbedingt auf der sachlichen Ebene bleiben müssen - findet sich direkter "Schlagabtausch" im Sinne eben jenes von der oralen Kultur her bekannten verbalen Wettstreits. Vor allem in den Usenet Newsgroups, aber ebenso im IRC, findet diese Tradition eine direkte Entsprechung, da die flame wars vor Publikum - den anderen Channelusern - ausgetragen werden. Insbesondere im IRC und in MUDs nimmt das Publikum an diesen Auseinandersetzungen unmittelbaren Anteil, äußert seine Mißbilligung oder Zustimmung oder feuert den einen oder anderen am flame war beteiligten User an. Die Bandbreite der Art von Auseinandersetzungen ist beträchtlich, und je nach der sozialen Struktur und den Regeln des Channels wird diejenige Person aus der Auseinandersetzung als Sieger hervorgehen, die die besseren Argumente, geistreicheren unsachlichen Bemerkungen, oder treffendsten Beleidigungen vorbringt.

Ähnlich gehen Auseinandersetzungen in den Newsgroups vor sich. Auch hier ist das Wort die Waffe im Schlagabtausch, und auch hier wird die Auseinandersetzung vor Publikum, also den anderen Mitgliedern der Newsgroup, ausgetragen. Allerdings erstrecken sich die Auseinandersetzungen dort, aufgrund der diesen Newsgroups innewohnenden Struktur, über einen längeren Zeitraum, während im IRC oder in MUDs die Spontaneität weiter im Vordergrund steht, so daß es nicht nur darauf ankommt, gewitzt zu sein, sondern auch, schnell zu reagieren.


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