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 JAHRESLOSUNG 1998 MIT HUNDERTGULDENBLATT

Abschiedspredigt über 1. Korinther, 1 - 13 vom 22. Februar 1 998 in der Christus-Kirche zu Lima, gehalten von Botschafter Dr. Marcus Kaiser
Liebe Gemeinde, Nochmals habe ich Gelegenheit, einige Wochen vor Ende meiner  über 5-jährigen Tätigkeit hier in Peru zusammen mit Ihnen den heutigen Predigttext zu hören und ihn auszulegen. Text fur den heutigen letzten Sonntag der Vorfastenzeit  „Estomihi“ ist der 1. Brief des Paulus an die Korinther, Verse 1 bis 13. Er lautet daselbst folgendermassen:
«Wenn ich in den Zungen der Menschen und der Engel rede, habe aber die Liebe nicht, so bin ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich die Gabe der Rede aus Eingebung habe und alle Geheimnisse weiss und alle Erkenntnis, und wenn ich allen Glaube habe, so-dass ich Berge versetze, habe aber die Liebe nicht, so bin ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe zur Speisung der Armen austeile, und wenn ich meinen Leib hingebe, damit ich verbrannt werde, habe aber die Liebe nicht, so nützt es mir nichts.
Die Liebe ist langmütig, sie ist gütig; die Liebe eifert nicht, die Liebe prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf, sie tut nichts Unschickliches, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht an; sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber mit der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.
Die Liebe vergeht niemals. Seien es aber Reden aus Ein-gebung, sie werden abgetan werden; seien es Zungenre-den, sie werden aufhören; sei es Erkenntnis, sie wird ab-getan werden. Denn unser Erkennen ist Stückwerk und unsere Reden aus Eingebung ist Stückwerk. Wenn aber das Vollkommene kommen wird, dann wird das Stück-werk abgetan werden. Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, sann wie ein Kind, urteilte wie ein Kind; als ich ein Mann wurde, tat ich ab, was kindisch war. Denn wir sehen jetzt nur wie mittels eines Spiegels in rätsel-hafter Gestalt, dann aber von Angesicht zu Angesicht Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich völlig erkennen, wie ich auch völlig erkannt worden bin. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe diese drei; am grössten aber unter diesen ist die Liebe. »
Der mexikanische Literatur-Nobelpreisträger Octavio Paz hat mit kritischem Geist den Zeitgeist analysiert, wie er weit über sein Heimatland hinaus charakteristisch ist für eine gesellschaftliche Situation im Umbruch. Er schreibt: Wir sind zur Erneuerung verurteilt. In der Moderne gibt es Dinge, die ich gutheisse wie etwa die Demokratie und die Wissenschaften. Aber es gibt auch Dinge, die mich zutiefst abstossen: der Kult ums Geld, das überrissene
Gewinnstreben, der übersteigerte Individualismus, der Mangel an Brüderlichkeit, Mängel sowohl moralischer Art wie auch strukturell bedingt. Zu ihrer Behebung habe er keine Lösung anzubieten, ja niemand habe sie. «Noch haben wir keine Antworten, aber wir wissen, dass unsere Gesellschaften nicht nur sehr unvollkommen, sondern auch sehr ungerecht sind». Soweit Octavio Paz.
Wir erkennen in dieser Bestandesaufnahme wesentliche Züge der heutigen gesellschaftlichen Verfassung, die ge-prägt ist vom Diktat der Leistungsgesellschaft, in der es unter dem Zwang von Profitmaximierung, Kostenreduzie-rung und Effizienzsteigerung kalt wird im Erfolg, weil der Mensch letztlich nurmehr gilt, was sein sozio-ökonomischer Wert ist. Der Stärkere, Erfolgreichere setzt sich durch, wächst zu noch grösserer Macht und viele, die nicht mitzuhalten vermögen, bleiben dabei auf der Strek-ke. Wenn sie Glück haben, werden sie, finanziell gut ab-gesichert, abgeschoben in einen vorzeitigen Ruhestand, auf den sie nicht vorbereitet sind, oder sie bleiben als jun-ge Menschen sich selbst in ihrer Untätigkeit überlassen.
Der Zwang zur Erneuerung, zum harten wirtschaftlichen Anpassungsprozess hat gerade auch hierzulande viele ih-rer Arbeit beraubt und sie mit ihren Familien in schwieri-ge Notlage gebracht. Gesellschaften, in denen jeder für sich selbst zu schauen hat, driften auseinander, soziale Gegensätze akzentuieren sich. Wirtschaftliche Anpassung zur Gesundung und wirtschaftlicher Erfolg - so wichtig sie auch sind für die Schaffung eines gesunden Funda-ments, das erst Voraussetzung schafft für den Aufbau ei-ner tragfähigen, alle nach ihrem Verdienst partizipieren-lassenden Volkswirtschaft -berücksichtigen oft in unge-nügender Weise die soziale Verpflichtung des Kapitals. Angesprochen wird in der genannten Analyse auch der heute grassierende Hedonismus, die selbstgefällige Ver-liebtheit ins eigene Ich, das nur für sich selbst da ist, Ge-nuss und Befriedigung sucht und sich selbst genug ist. Lösungen für die in vielfältiger Weise offenbar werdende Unvollkommenheit und Ungerechtigkeit der Gesellschaft hat der Dichter, der primär nach politischen, sozialen und ethischen Masstäben für den gerechten Ausgleich sucht, nicht, wie er auch auf die Abgabe billiger Trostpflaster verzichtet. Zur Frage steht nämlich über alle moralischen und strukturellen Gründe hinaus die eigentliche Grund-problematik menschlichen Verhaltens und der von ihm geforderten und im Glauben zu erlangenden grundsätzli-chen Erneuerung.
Unser Predigttext führt uns zurück in eine ganz andere Welt, in jene der ersten Christen und konfrontiert uns mit den Problemen, die für diese Gemeinschaft von vorrangi-ger und aktueller Bedeutung waren: die Auseinanderset-zungen, Fragen und Mutmassungen um Glaube und Reli-gion. Gesprochen wird von damals Anerkannten und Hochgeehrten: den Deutern und Forschern mit besonde-ren Gaben zur Erhellung transzendentaler Fragen. Wie völlig anders auch der gesellschaftliche Kontext war und die beschäftigenden Probleme, die klare Ermahnung des Paulus weist unverrückbar darauf hin, worin die Grund-problematik menschlichen Verhaltens beschlossen liegt. Alle geschäftige menschliche Tätigkeit, ob pragmatisch geschäftlich gewinnorientiert oder den hehren Fragen des Wissens, Forschen und Erkennens gewidmet, ist letztlich fehlgeleitet - gilt nichts in der Sprache des Paulus -, wenn sie nicht von der Liebe und Mitmenschlichkeit geleitet und bestimmt ist - damals wie heute.
Zu allen Zeiten gilt aber auch, dass es immer wieder Menschen gibt, oft kleine, in der grossen Gesellschaft kaum wahr- oder ernstgenommene, die gegen den Strom Zeichen setzen durch ihr Tun und ihre Hingabe. Etwa je-ne junge Frau aus der Esteras-Hütte in Chorrillos, mit sieben kleinen und halbwüchsigen Kindern, sich selbst überlassen im harten Daseinskampf, die täglich um fünf Uhr morgens ein paar Gleichgesinnte trifft und mit dem wenigen verfügbaren Geld als Strassenverkäuferin von Kleiderbügeln Zutaten für die kräftigende Suppe besorgt, die in einer notdürftig hergerichteten Gemeinschaltsküche zubereitet wird zur Abgabe frühmorgens an unterernährte Kleinkinder und geschwächte, stillende Mütter.
Oder jener Kanadier, der vor einigen Jahren lange Nächte mit den Strassenkindern der Plaza San Martin verbrachte, Not und Freude mit ihnen teilte, allmählich ihr Vertrauen gewann und sie schliesslich wegholte aus ihrem unbehau-sten Dasein in ein karges Heim nach Cieneguilla. Dort er-fuhren sie erstmals Liebe und Fürsorge und spürten, dass jeder von ihnen trotz seines kleinen Ganovenlebens wichtig und ernst genommen wurde.Die selbstlose Tat entriss sie der gesellschaftlichen Verachtung, der Ver-wahrlosung und der Lieblosigkeit - sicherer Nährboden für neue Saat von Gewalt und Missachtung des Anderen - und versuchte so, den Teufelskreis aufzubrechen, der darin besteht, dass wer nie Liebe erfahren hat, kaum je fähig sein wird, Liebe zu schenken.
Und fragen wir diese Helfer, warum sie es tun, so kommt nicht vorschnelle Antwort. Oft ist es ganz einfach die Selbstverständlichkeit ohne grosse Worte, Menschen in Not zu helfen. Wenn auch die noch so mutige Tat das Uebel nicht an der Wurzel auszurotten vermag, so ist doch auch nichts umsonst, was Not lindert, Sorgen ihre Beschwernis nimmt, was Lasten leichter macht.
«Die Liebe ist langmütig, sie ist gütig; die Liebe eifert nicht, die Liebe prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf, sie tut nichts Unschickliches, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht an; sie freut sich nicht über die Ungerechtigtkeit, sie freut sich aber mit der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.»
Das Hohelied der Liebe gehört für mich seit der Jugend-zeit, da ich meinen Vater darüber predigen hörte, zu den eindrücklichsten Versen der Bibel, weil sie in ihrer Schlichtheit uns unmittelbar ergreifen. Es sind Worte, die so nahe liegen und doch auch so unerreichbar scheinen. Die Liebe, die sich auszeichnet durch Geduld, Güte, Be-scheidenheit, Toleranz, Vergebung, Rechtschaffenheit, Rechtsempfinden, Vertrauen und Hoffnung, zielt klar auf mitmenschliches Verhalten. Sie sucht nicht egoistisch das Ihre, sondern denkt und handelt vom andern und auf den andern, den Mitmenschen, hin und nimmt für ihn Partei. Nicht das Reden, wie gelehrt es auch sei, sondern die Tat bringt es an den Tag, was Liebe wirklich ist. Alles, was Christen als solche auszeichnet, hat seinen Ursprung in der Zuwendung Gottes zum Menschen. In Jesus Christus kommt seine Liebe unter uns, trägt er unsere Mühselig-keiten mit, und lässt keinen von uns, wer er auch sei, im Stich.
In seiner Nachfolge ergeht auch an uns das Gebot der Nächstenliebe. Wie schwer aber tun wir uns damit. Mit dem liebenswerten, problemlosen Mitmenschen wollen wir uns gerne einlassen; aber mit dem uns Unbekannten, dem schwierigen, gar dem uns bedrängenden Mitmen-schen! Schreiben wir nicht fortdauernd den Fremden und Andersartigen ab, schlagen die Türen zu und verriegeln sie fest? Der Nächste in Not, in ganz besonderer Weise unser Mitmensch, stört er nicht mit seiner bettelnden Hand unser rechtzeitiges Losfahren an der grünen Ampel oder mit seiner Aufdringlichkeit, die längst sauber ge-schrubbte Scheibe am Auto mit dreckigem Lappen erneut putzen zu wollen? Nächstenliebe verlangt wider alle vor-gefasste Meinung , wider Gedankenlosigkeit und angebli-chen ständigen Zeitdruck, der nicht die geringste Verzö-gerung im ausgebuchten Tagesablauf duldet, uns auf den Anderen einzulassen durch Wachsein und Hinhören, durch Offenheit und Bereitschaft, für ihn da zu sein. Gottesliebe ohne Nächstenliebe kann es für den Christen nicht geben, denn Gott ruft uns durch den Nächsten. Die-ser Aufruf trifft mich alle Tage neu im Alltag. Mitten im Stückwerk unseres Lebens sind wir so zur Bewährung ge-rufen. Unser nur zu offenkundiges Versagen, dem An-spruch zu genügen, soll uns nicht entmutigen. Wir sollen unser Ungenügen annehmen in der Hoffnung, dass es der barmherzige Gott zu einem guten Ziele führen wird. Das Evangelium macht uns Mut zu wachsen im Glauben, der in der Liebe seinen wahren Ausdruck findet.
Dabei werden wir von der stärkenden, fürsorglichen Liebe Gottes getragen. In dieser unerschütterlichen Hoffhung harren wir der uns zugesagten wahren Erneuerung, zu der wir berufen sind und die uns herausführen wird aus Unvollkommenheit und Ungerechtigkeit. Es wird der Moment kommen, wie Paulus den Korinthern schreibt, da die uns noch verhüllte Wahrheit, die Verborgenheit Christi und seines Reiches, in ihrer ganzen Strahlkraft und Macht offenbar werden wird. Dann ist alles Stückwerk vorbei, worin wir in so vielfältiger Weise in unserem Erkennen und Tun, und auch in unserer Liebe, verhaftet sind. In solcher Erfüllung bleibt über allem und in allem ewiglich die Liebe unseres Herrn.
Amen

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