Ich werde dem Zorn keinen Platz einräumen, sondern ausgleichen.
Ellen Birx Sensei
Wenn man in der offenen Stille der Zen-Meditation sitzt, dann wird man vieler Aspekte des eigenen Lebens und der uns umgebenen Welt bewußt. Folglich wird uns sowohl während der Meditation als im Laufe des übrigen Tages deutlicher bewußt, wenn Zorn aufgrund vergangener oder gegenwärtiger Erfahrungen in uns aufsteigt. Wenn man sich zorniger Gedanken oder Gefühle während der Meditation bewußt wird, dann ist eine gute Möglichkeit damit umzugehen, unsere Aufmerksamkeit ganz behutsam wieder auf die Atmung lenken, ohne aber die Gedanken und Gefühle wegzudrängen. Wir leugnen nicht, dass wir wütend sind. Wenn man sich ihrer als ein Aspekt des Ganzen gewahr ist, dann ist das Heilung. Zur gleichen Zeit dürfen wir aber auch mit unseren Gedanken, Meinungen oder Geschichten, die wir uns selber einreden, kein Öl in das Feuer der Wut hinein schütten. Mit fortschreitender Meditations-Praxis erleben wir Emotionen aus erster Hand in uns aufsteigen und wieder versinken, wie Wellen im weiten Meer. Und wir werden immer geschickter darin, auf ihnen zu gleiten wie ein begabter Wellenreiter. Wir lernen uns mit er Fluidität des gegenwärtigen Momentes zu bewegen, gleich welche Gedanken oder Gefühle sich melden. Wir erleben, dass sich alles ändert, und dass auch diese Gedanken oder Gefühle vorübergehen werden. Unerträglich scheinender Ärger oder Wut wird sich an einem bestimmten Punkt beruhigen und wieder herabsinken, wenn wir uns dessen gewahr sind, wenn wir geduldig sind und nicht dagegen ankämpfen oder mit unseren Gedanken und Taten noch eins draufsetzen.
Wenn Zorn in dir aufsteigt und du dich gerade nicht in Meditation befindest, dann denke an deinen Atem: Atme! Atme tief ein und erkenne, wofür dein Zorn steht. Aber wirke nicht darauf ein. Es ist wichtig, sich des Zorns bewußt zu sein, aber lasse dich nicht zu zornigem Reaktionen wie Drohungen, Geschrei oder Gewalttätigkeit verführen. Nimm ein paar tiefe Atemzüge, zähle bis Zehn und gehe gegebenenfalls auch weg, wenn es nötig ist. Nimm dir Zeit, um herauszufinden, wie du deiner Wut am besten Ausdruck verschaffen kannst. Wenn wir davon abstand nehmen, unmittelbar auf unsere Wut einzugehen, dann können wir eine bewußte Entscheidung treffen, wie wir die Energie der Wut umlenken wollen. Physische Anstrengung, Schreiben, Saubermachen oder für eine gute Sache arbeiten, sind gute Möglichkeiten, wie man die Wut umlenken kann. Wenn die Möglichkeit besteht, ist es auch eine gute Sache, an einem Wut-Management-Programm mitzumachen.
Die Zen-Meditation hilft uns, sich der unermesslichen ungebundenen Klarheit des Geistes zu öffnen. Indem wir direkt die Einigkeit und Einheit erfahren, weitet sich unsere Sichtweise. Gefühle und Probleme werden in einem umfassenderen Zusammenhang erlebt und wir bekommen eine realistischere Perspektive. Gleichzeitig erlangen wir eine zunehmende Wertschätzung für den Einzelnen, für jede einzigartige Person - und für unsere Unterschiede. Das hilft uns, unser eigenes Leben und das der anderen Wert zu schätzen und eher Leben fördernd als zerstörend zu handeln.
Eines meiner liebsten Zitate aus dem Denkoroku, einer bekannten Koan-Sammlung, ist die Beschreibung des großen Zen-Meisters Dogen. Es lautet: "Befreit, ist er milde und friedvoll, - und der Donner rollt." Wir sind befreit, wenn wir es schaffen, wirkungsvoll mit unserem Zorn umzugehen und ihn angemessen auszudrücken. Unsere Wut ist wie Donner und Blitz: Sie können höchst eindrucksvoll sein, aber auch unermesslichen Schaden anrichten. Unseren Zorn anzuerkennen und zu lernen, ihn sinnvoll umzulenken, ist höchst eindrucksvoll und fügt sich zum Reichtum unseres Lebens hinzu. Wenn Wut und Zorn angemessen ausgedrückt werden, dann können sie uns antreiben aufzustehen und frei heraus zu sprechen und für Frieden und Gerechtigkeit einzutreten, für unsere Welt und alle Wesen.
(c) Dr.
Ellen Birx Sensei, Radford, VA, USAÜbers. Dr.
Arndt Büssing, Schwerte (2002). Alle Rechte vorbehalten.