Heute berichtet man immer haeufiger ueber Gakkyuhokai - Zerfall der Klassenzimmer

Darunter versteht man, dass Kinder vor allem Grundschueler nicht in der Lage sind, Lehrern zuzuhoeren oder gar an ihrem Platz zu bleiben, so dass der Unterricht nicht stattfinden kann. Ferner veralssen sie das Klassenzimmer ohne Erlaubnis der Lehrer, schreien inmitten des Unterrichts oder pruegeln ihre Mitschueler ohne verstaendlichen Grund. Diese Tendenz ist vor allem in den letzten 2,-3 Jahren zu beobachten und Lehrer sind dem Problem oft nicht gewachsen, da ihre bisherigen Erfahrungen oder Lehrmethoden ueberhaupt nicht nutzen. Was passiert mit den heutigen Kindern?

Einst waren japanische Schueler fuer ihr diszipliniertes Verhalten weltbekannt. Meine deutsche Freundin war vor 4 Jahren von dem Musikfest an einer japanischen Grundschule sehr beeindruckt. Alle Schueler standen aufrecht, sangen oder spielten Instrumente mit einheitlicher Haltung, so dass sie den Eindruck hatte als waere es eine Militaeruebung. Ja, wir hoerten und hoeren oft Kritik, dass wir Japaner kollektiv wirken in Folge des Erziehungssystems, in dem die Individualitaet wenig gefoerdert wird. Daher gibt man hier seit einiger Zeit der Freiheit und Foerderung der Individualitaet erste Prioritaet. Aber deren Bedeutung versteht man manchmal falsch: Ein Grundschueler ist kurz vor dem Mittagessen(In Japan bekommen Grundschueler Essen in der Schule.) ploetzlich verschwunden und sein Lehrer und die Mitschueler suchten eifrig nach ihm. Es stellte sich spaeter jedoch heraus, dass dieser Schueler zu dieser Zeit schon zu Hause war. Der Kommentar seiner Mutter: Da meinem Sohn das Menu am Tag nicht gefiel, ist er einfach nach Hause gekommen. Das ist seine individuelle Entscheidung und darauf muss man Ruecksicht nehmen!

Es hat natuerlich mit der Individualitaet gar nicht zu tun, sondern geht es um Egoismus. Etliche Intellektuelle meinen, dass der Egoismus, der heute zu beobachten ist, mit der fortschrittenen Konsumgesellschaft im Zusammenhang steht.

Frueher war das Schulessen ein wichtiger Bestandteil der Ernaehung, da Kinder vor allem in der Nachkriegszeit nicht genug zu essen bekamen oder die uns Japanern oft fehlenden Nahrungsstoffe wie Kalzium dadurch ergaenzt wurden. Deshalb waere man frueher niemals auf die Idee gekommen, darauf zu verzichten.

Neulich habe ich von dem Lehrer meines Sohnes gehoert, dass sich ein Schueler ueber die Klassen-Wanderung beschwerte. Seine Familie faehrt immer Auto, deswegen verstand er einfach nicht, wozu man laufen musste. Mit Hilfe des Lehrers erreichte er keuchend die Bergspitze.

Heute schickt man oft den Nachwuchs zu Nachhilfeschulen. Trotzdem stellte man vor kurzem fest, dass ihre Noten schlechter sind im Vergleich mit den Schuelern vor 10 Jahren. Mangelnde Konzentration und fehlende Ausdauer sind Gruende dafuer, so vermutet man. Der Wohlstand beschert uns ein komfortables Leben aber nimmt uns dafuer manchmal Faehigkeiten weg, die bisher als selbstverstaendlich galten und in der Entwicklugsphase automatisch erworben wurden. Dazu zaehlt der Umgang mit Menschen.

Vor kurzem habe ich den Roman Das Bluetenstaubzimmer von einer recht jungen Autorin Jenny Zoe(1974 geboren) gelesen. Dabei handelt sich um ein Maedchen Jo, das von ihrer Mutter verlassen wurde, als sie noch im Vorschulalter war. Erst nach 12 Jahren besucht Jo ihre Mutter in der Hoffnung, die Beziehung zwischen beiden wiederherzustellen. Dennoch scheitert sie nicht nur daran, sondern an allen Beziehungen zu Freunden, Bekannten und sogar Fremden.

Starr, kurzsichtig, schwer einzulenken, isoliert, so beschreibt man heutige Kinder, die den Zerfall der Klassenzimmer verursachen. Diese Beschreibung trifft auch auf Jo zu. Inzwischen haben einige Lehrer eine kleine Zwischenloesung gefunden: Wenn Lehrer solche Kinder umarmen, beruhigen sie sich sichtlich und sind eine Weile imstande, Anweisungen zuzuhoeren. Es handelt sich um mangelnde Liebe, aeuserte sich ein Lehrer. Diese problematischen Kinder haben scheinbar ordentliche Familien aber es fehlt ihnen offenbar an Zuwendungen: Die Muttergeneration setzt auch ihre individuellen Wuensche durch, scheint aber ihren Verpflichtungen innerhalb der Familie manchmal nicht nachzukommen.

Das Problem Gakkyuhokai ist meiner Meinung nach nur die Spitze des Eisbergs. Dahinter stecken die negativen Seiten der Entwicklung der Gesellschaft, die man nicht einfach loswerden kann. Aber wir sollten uns zumindest ueber Folgendes im klaren sein:

Zwischen Individualismus und Egoismus liegen manchmal nur hauchduenne Unterschiede.

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